Wer bisher dachte, dass großartige Konzepte auch weithin als solche erkennbar sein müssen, der war wohl noch nie in Berlin: Hinter den Fassaden alter Gebäude, in Hinterhöfen oder Kellern warten wahre Schätze darauf, entdeckt zu werden. Und das Stadtbad Oderberger Straße ist einer davon. Wir haben uns auf eine Tour durch die ehemalige Badeanstalt begeben und viel mehr entdeckt als „nur” ein altes Schwimmbad.
Das Stadtbad Oderberger Straße liegt mitten in Prenzlauer Berg. Es ist über 100 Jahre alt – ein wunderschöner alter Bau, dessen zahlreiche Verzierungen und liebevollen Details den Zweiten Weltkrieg fast unbeschadet überstanden haben. Und doch ist hier seit 30 Jahren niemand mehr geschwommen: 1986 wurde der Betrieb nach einem baulichen Fauxpas aus Sicherheitsgründen eingestellt. Doch schon im Oktober 2016 soll wieder geplantscht werden – und nicht nur das. Das alte Stadtbad hat einen Facelift der besonderen Art bekommen und ist nun Veranstaltungsort, Hotel, Restaurant und Schwimmbad in einem.
Tour durch das Stadtbad
Jeden Dienstag um 17:00 bietet Hans-Dieter Jaeschke, der das Stadtbad Oderberger Straße zusammen mit seiner Frau Barbara saniert, kostenlose Führungen an. Eine Anmeldung ist nicht zwingend erforderlich und auch wir entschließen uns eher spontan zu einem Besuch.
Der Start ist direkt an der Rezeption und wir betreten sogleich die Schwimmhalle. Doch wo wir das Schwimmbecken vermuten, stehen plötzlich gedeckte Tische: Die Hebebühne vom Boden des Beckens ist hochgefahren und darauf ist für 180 Leute gedeckt. Und wo ist das Wasser? Das ist unter der Hebebühne im Becken: Durch fünf Luken kann das Wasser beim Heben des Bodens in das eigentliche Becken abfließen, beim Senken wird es wieder hochgedrückt. So müssen nicht für jedes Event tausende Liter in die Kanalisation fließen – hier hat jemand ganz offensichtlich mitgedacht.
Es kommt die Frage auf, ob dies nun ein Schwimmbad oder ein Ort für Feierlichkeiten werden soll. Die Antwort: Beides. An fünf Tagen die Woche soll im Stadtbad ein regulärer Schwimmbetrieb stattfinden, die Preise werden sich an denen der öffentlichen Bäder orientieren. An den beiden anderen wird die Hebebühne hochgefahren. Die Augen der jungen Frau neben mir fangen bei diesen Worten an zu leuchten: Sie hat gerade den perfekten Ort für ihre Hochzeit gefunden, ich sehe es ihr an.
Weiter geht die Tour: Herr Jaeschke zeigt uns das einzige erhaltene Originalfenster sowie die Skulpturen nach Vorlagen von Otto Lessing und erklärt, wie der denkmalgeschützte Bau erhalten wurde: Der nachträglich gebaute Schornstein, der die Statik des Gebäudes so stark beeinträchtigte, dass es 1986 schließlich zur Schließung kam, wurde in mühevoller Handarbeit wieder abgetragen. Gut erhaltene Originalbauteile wurden neu eingebaut, wo nichts mehr zu retten war, wurde in altem Stil erneuert. Alles in allem jahrelange Kleinarbeit, die sich jedoch vollkommen gelohnt hat.
Von Nasszellen zu Hotelzimmern
Im Keller wird ein Saunabereich eingerichtet, berichtet Herr Jaeschke, doch dort wird noch gebaut. Außerdem wird das Ganze im Sommer durch ein Restaurant ergänzt. Das Hotel jedoch ist schon in Betrieb. Für uns geht es also treppauf zu den ehemaligen Nasszellen, die früher jeweils eine Badewanne enthielten und den Bewohnern der umliegenden Viertel, in deren Wohnungen es kein Bad gab, zur Körperreinigung dienten. Insgesamt gab es dafür 200 mehr oder minder kleine Zellen. Wer ein bisschen mehr zahlte, konnte anschließend schwimmen gehen.
Und nun sind die Badezellen zu größeren Zimmern von 22 bis 38 m² umgestaltet worden. Dabei wurde so viel wie möglich erhalten: Alte Fliesen wechseln sich mit neuem Holzfußboden ab, die Garderobenhaken hielten einst Handtücher, die alten Türen mit den Zellennummern führen, in Glas eingefasst, nun zu den Badezimmern der jeweiligen Zimmer.
Überhaupt finden sich überall erhaltene Elemente. So sind die Tische und Bänke in den Wartebereichen Originale von 1902 genauso wie die Fische am Treppengeländer. Unter den Fenstern gibt es kleine Metallschubladen. Da weiß aber niemand, wozu sie mal dienten.
Es begann mit einer Sprachschule
Herr Jaeschke erzählt und zeigt und plötzlich sind rund 75 Minuten vergangen. Wir haben uns nicht eine Sekunde gelangweilt und viel erfahren. Zusätzlich zu Schwimmbad, Eventlocation, Hotel und Restaurant beherbergt das Stadtbad Oderberger Straße auch Seminarräume für verschiedene Größen und eine Sprachschule. Sie wird von Barbara Jaeschke geführt und war sozusagen der Grundstein für die Sanierung: Frau Jaeschke wollte eine Sprachschule britischer Färbung und nicht nur Unterricht, sondern auch Unterkunft und Verpflegung an einem Ort anbieten können. Nun sieht der Plan zu jeweils einem Drittel Kunden der Sprachschule sowie Touristen und Geschäftsleute als Gäste vor. Die Preise liegen bei 130 bis 180 € pro Nacht – je nach Zimmertyp.
Die Touren sind dieses Jahr gestartet, weil es so viele Nachfragen aus der Nachbarschaft gab. Sie sind immer angepasst an das jeweilige Geschehen: Wo gebaut wird, kann man nicht hingehen, und wenn eine Veranstaltung stattfindet, ist das Schwimmbecken nicht sichtbar.
Doch auch nach den Umbauten sollen die Touren weitergehen. Dann könnt ihr theoretisch erst eure Bahnen ziehen, dann an der Tour teilnehmen, anschließend im Restaurant essen und zum Schlafen eines der vielen individuell gestalteten Zimmer mieten. Und am nächsten Tag an einer Schulung teilnehmen oder auf einer Hochzeit tanzen – dort, wo ihr gestern noch geschwommen seid. Hat das was? Das hat was.
Kurzinfo
Stadtbad Oderberger Straße – Führungen:
- Di. 17:00 mit oder ohne Anmeldung; Start an der Rezeption
- Kostenfrei
- Kontakt: 030/780089-760; info@hotel-oderberger.berlin
Verena Metzler ist begeisterte Wahlberlinerin und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Neuberlinern und Touristen das Berlin zu zeigen, das sich abseits der ausgetretenen Touristenpfade verbirgt. Hauptberuflich arbeitet sie als freie Lektorin und Texterin.
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